Texte

Archäologie und Bildende Kunst
Beate Spitzmüller

Text anlässlich der Ausstellung „Changes“, Katharinenhof am Preußenpark, Berlin, 2015

Sei es die Sehnsucht nach vergangenen Hochkulturen oder die Faszination für Ruinen und Ausgrabungsstätten, die Beweggründe, sich mit der Wissenschaft der Archäologie auseinander zu setzen, sind sehr unterschiedlicher Natur.
In der Bildenden Kunst hat das verbundene Interesse mit der Archäologie und das Interesse an der kulturellen Entwicklung der Menschheit seit jeher Spuren hinterlassen. Und spätestens seit Michel Foucaults sein Buch „Archäologie des Wissens“ (1969) veröffentlichte, ist Archäologie zu einem mächtigen Paradigma der Kulturwissenschaft geworden. Dabei haben sich unerwartete Kombinationen, andere Sehweisen und Fortentwicklungen, sowie neue Einschätzungen in diesem Disziplin ergeben (Michel Foucaults war ein französischer Philosoph, Psychologe, Historiker und Soziologe. Er untersuchte, wie Wissen entsteht und Geltung erlangt, wie Macht ausgeübt wird und wie Subjekte konstituiert und diszipliniert werden.).

Die Künstlerin Silvia Nettekoven, die heute bei uns ausstellt, hat Themenfelder der Archäologie, insbesondere die Bereiche der Vor- und Frühgeschichte aufgegriffen und weiter verarbeitet. Sie zeichnet, aquarelliert und collagiert. In ihren Arbeiten finden wir jedoch keine Abbildungen von Ruinen oder Ausgrabungen, und auch das Katalogisieren und Archivieren – was in der Wissenschaft ein wesentliches Merkmal ist, sind für sie eher ohne Bedeutung. Ihr Augenmerk liegt auf den mannigfaltigen Fundstücken, die einen unglaublichen Reiz auf sie ausüben. Diese Fundstücke werden von ihr übernommen und zwar so, dass der Betrachter meist nicht mehr erkennen kann, dass das übernommene Element aus der archäologischen Sammlung stammt… das kann ein Armreif, eine Brosche, ein Stück Scherben, ein wertvolles Fundstück sein.
Dieses Material aus einer längst vergessenen und kaum noch nachvollziehbaren Zeit beschäftigt sie in vielfältiger Weise. Und das nicht nur in der Malerei. Jahrelang hat sie für ein Museum gearbeitet, hat für das Museum Zeichnungen und multimediale Arbeiten angefertigt sowie diverse Ausgrabungsstätten besucht. Durch genaue Beobachtung, Analogien und Deutungen sowie aus Fragmenten rekonstruierte sie zeichnerisch und multimedial längst untergegangene Kulturen. Neben der Beschäftigung der gegenständlichen Welt ist dabei die Frage der damit verbundenen Lebensweise ebenso spannend.
Nun stellt sich uns die Frage: Wie verarbeitet S. N. in ihren künstlerischen Arbeiten diese Gegenstände aus der Ur- und Frühgeschichte und wie werden diese von ihr weiterentwickelt und eingesetzt? Und wie bindet sie die Geschichte der Menschen aus der Steinzeit bis zur Bronzezeit in ihre Illustrationen ein?
Ihre Vorgehensweise:
Sie verwendet Skizzen, Studien, halbfertiges Material und Vorstufen für Illustrationen, und archäologische (wissenschaftliche) Zeichnungen. Die einzelnen Elemente werden neu kombiniert, die Skizzen und Zeichnungen in einen neuen Zusammenhang gebracht, so dass sie sich zu einer Bildkomposition zusammenfügen und neu gelesen werden können. Durch diese Kontextverschiebung bekommt das Gezeichnete – also der Armreif, der Ring- einen anderen Sinn. Teilweise sind die gezeichneten Gegenstände so aus dem Kontext herausgelöst, dass sie nicht mehr erkennbar sind. Durch eben diese Kontextverschiebung können sich dem Betrachter mannigfaltige Assoziations- und Bedeutungsstränge eröffnen. Die Bilder wirken wie Traumsituationen, surreal, vielleicht Fragmente der Vergangenheit?
Hier im Katharinenhof zeigt sie ihre Serie Emptiness / Changes.
Es sind teils großformatige Collagen und Aquarelle in den Formaten A2 und A4.
In diesen Blättern sind verschiedene Techniken zusammengemischt, das Aquarell, die Collage und die Zeichnung.
Durch den Einsatz der Nass in Nass Maltechnik entstehen zufällige Farbränder und Formen, die sie in ihren Aquarellen als gestalterisches Element miteinsetzt.
Im ersten Moment erwartet man, dass eine Geschichte dargestellt wird, dass die Künstlerin uns etwas erzählen möchte. Dem ist nicht so. Dieses Versprechen, sofern es eines ist, wird von der Künstlerin nicht eingelöst. Farben und Formen entstehen zufällig, Elementewerden nach rein formalen Gesichtspunkten ins Bild gesetzt und komponiert. Eine Deutung des Bildes bleibt deshalb dem Betrachter überlassen, dem sich jedoch durch die Kontextverschiebung – auch auf der zeitlichen Ebene – mannigfaltige Assoziationsmöglichkeiten eröffnen. Sie zurren nicht fest und lassen der eigenen Fantasie, den eigenen Bildern eine große Freiheit.
Begeben wir uns auf eine Zeitreise, weit in Frühzeit der Menschheit und gleichzeitig in das Hier und Jetzt. Eine Reise vielleicht, die unseren eigenen Lebensweg nachzeichnet, Erinnerungen, Fragmente, die an die Oberfläche gelangen, sich möglicherweise assoziativ verbinden und präsent werden.
©Beate Spitzmüller im Juni 2015